11:20 20Jan2006 HINTERGRUND-


Firmen tun sich schwer mit Vogelgrippe-Notfallplänen

Frankfurt, 20. Jan (Reuters) - Die sich nach Europa
ausbreitende Vogelgrippe hält derzeit nicht nur die
Gesundheitsbehörden in Atem. Auch in der Wirtschaft wird an
Notfallplänen für den Ausbruch einer Pandemie gearbeitet.

Experten halten die deutschen Firmen allerdings bislang nur
für unzureichend auf diesen Fall vorbereitet. Krisenberater
warnen sowohl vor Sorglosigkeit als auch hektischem Aktionismus.
"Nach meiner Einschätzung haben bis jetzt die wenigsten
Unternehmen detaillierte Krisenpläne für den Fall eines
Ausbruchs der Vogelgrippe", sagt Peter Höbel, Geschäftsführer
der Frankfurter Krisenberatungsfirma Crisadvice.
Eine ähnliche
Beobachtung macht Christopher Schramm von der Münchner Firma
Result Group: "Das Thema Vogelgrippe und Pandemie nimmt an
Bedeutung zu, und vor allem große Unternehmen machen sich
Gedanken zur Sicherstellung der Geschäftsprozesse im Ernstfall.
Aber das heißt nicht, dass sie auch richtig gut vorbereitet
sind."

Krisenstäbe, Notfallpläne, Lagerung von Atemschutzmasken und
Grippemitteln? Brauchen Firmen das wirklich? Experten sagen:
vielfach ja. Denn im Ernstfall müssen die Unternehmen nicht nur
ihren eigenen Geschäftsbetrieb sichern, sondern sind nach
öffentlichen Einrichtungen wie Gesundheitsämtern häufig auch die
wichtigsten Anlaufstellen für ihre verunsicherten Beschäftigten.
Dabei können sie kaum auf praktische Erfahrungen zurückgreifen.
"In der Vergangenheit hat es vergleichbare Fälle schlichtweg
nicht gegeben", betont Höbel. Bei der Lungenkrankheit Sars, die
vor drei Jahren in Asien grassierte, sei es glücklicherweise
nicht zu einem großflächigen Ausbruch gekommen.


WARNUNG VOR WILDEM AKTIONISMUS
18 der im Dax gelisteten 30 deutschen Großkonzerne haben
einen speziell auf eine Vogelgrippen-Pandemie zugeschnittenen
Notfallplan aufgestellt oder arbeiten diesen gerade aus, wie
eine Umfrage des Magazins "Wirtschaftswoche" ergab. Demnach
lagert rund ein Viertel der Dax-Unternehmen größere Mengen der
Grippemittel Tamiflu oder Relenza. Medizinisch aufgerüstet hat
auch der Bosch-Konzern. Der schwäbische Autozulieferer
habe an verschiedenen Standorten weltweit Impfschutzmittel
gesammelt, sagt eine Firmensprecherin. Außerdem sei bereits sei
längerer Zeit ein Krisenstab im Einsatz, der sich eigens auf
einen möglichen Ausbruch einer Vogelgrippen-Pandemie vorbereite.

Doch insbesondere der vorsorgliche Schutz durch die Lagerung
von Grippemedikamenten gilt als umstritten. "Hier müssen Firmen
aufpassen, dass sie nicht in wilden Aktionismus verfallen",
mahnt Krisenberater Höbel. Mediziner weisen daraufhin, dass
diese Mittel möglicherweise ihre Wirkung verlieren, sobald der
Vogelgrippevirus H5N1 sein Erbgut verändert, was dann zu einer
Ansteckung von Mensch zu Mensch führen könnte.

BELASTUNGEN FÜR TOURISTIKBRANCHE
So verzichtet etwa die Allianz bis jetzt auf eigene
Bestände von Grippeimpfstoffen. Der Versicherer setzt vielmehr
auf eine gezielte Unterrichtung von Mitarbeitern, vor allem bei
Geschäftsreisen nach Asien. "Wir sprechen unsere Mitarbeiter nur
da an, wo es nötig ist an. Wir müssen aufpassen, keine
Unsicherheit zu schüren", erläutert ein Firmensprecher.

Unklar ist bislang, wie stark die Vogelgrippe die Geschäfte
der Firmen wirklich belasten könnte. Nach Berechnungen des
Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung
könnte ein großflächiger Ausbruch von schnell ansteckenden
Krankheiten allein der deutschen Wirtschaft Kosten von 25 bis 75
Milliarden Euro bringen. Spürbare Folgen drohen bislang
allerdings nur in der Luftfahrt- und Touristikbranche.

Nach den Todesfällen in der Türkei werden nach Angaben des
Deutschen Reiseverbandes deutlich weniger Reisen in das Land
gebucht. Auch Europas größter Reisekonzern TUI
berichtet von einer gedämpften Nachfrage nach Türkeibuchungen.
Zum Schutz seiner Kunden verlässt sich TUI indes auf sein
bestehendes Krisenmanagement. "Einen speziellen
Vogelgrippe-Notfallplan haben wir nicht", sagt ein
Konzernsprecher.

Friday, 20 January 2006 11:20RTRS {C}ENDS